Sommerbuchclub 2019: Töchter des Himmels (The Joy Luck Club) von Amy Tan

Erscheinungsjahr: 1989
Land: China / USA

Hier kommt meine Buchbesprechung  von „Töchter des Himmels“ als Auftakt für unseren diesjährigen Sommer-Buchclub. Es ist keine umfassende Rezension, sondern ich greife nur ein paar Punkte als Diskussionsstart heraus. Eine Warnung gleich am Anfang: Normalerweise versuche ich, nicht zu viel über die Handlung eines Buches zu verraten. Aber in diesem Fall gehe ich davon aus, dass alle, die mitdiskutieren, die Handlung sowieso schon kennen. In der Diskussion sind „Spoiler“ also erlaubt.

Seit Jahrzehnten treffen sich vier chinesische Migrantinnen in den USA jeden Sonntag, um Mahjong zu spielen. Der Roman zeichnet ihre Lebensgeschichten sowie ihre Beziehung zu ihren in den USA geborenen Töchter nach. Bereits im ersten Kapitel wird das zentrale Thema deutlich. Jing-mei „June“ Woo nimmt erstmals anstelle ihrer kürzlich verstorbenen Mutter am Mahjong-Nachmittag teil. Die drei Mitspielerinnen eröffnen ihr, dass Jing-meis Mutter kurz vor ihrem Tod von ihren beiden ältesten Töchtern kontaktiert wurde, die sie während des 2. Weltkriegs in China hatte zurücklassen müssen. Die Mahjong-Spielerinnen fordern Jing-mei auf, ihre Schwestern zu besuchen und ihnen alles über ihre Mutter erzählen. Jing-Mei wird bewusst, dass sie ihre Mutter kaum kannte – und dass es in den Familien der anderen Frauen genauso ist.

„Over there I will have a daughter just like me. […] Over there nobody will look down on her, because I will make her speak only perfect American English. And over there she will always be too full to swallow any sorrow! She will know my meaning.“

So wird in einer Parabel zu Beginn die Hoffnung der Einwanderinnen formuliert. Die Mütter erhoffen sich für ihre Töchter ein radikal anderes Leben als das eigene, drängen sie, sich zu assimilieren, und sprechen über die Zeit vor ihrer Einwanderung nur in Andeutungen. Gleichzeitig sind sie überrascht und enttäuscht, dass die Töchter ihnen in ihrer Lebenseinstellung fremd sind.

Amy Tan gelingt es gut, diese Kluft zwischen den Generationen darzustellen – sogar etwas zu gut. Während ich die Töchter von Anfang an leicht auseinanderhalten konnte, musste ich bei den Geschichten der Mütter immer wieder zurückblättern und überprüfen, um wen es sich handelt. Ich fand sie als Charaktere deutlich weniger ausgearbeitet als die Töchter. Die Struktur des Buches mit vier Blöcken von vier Kapiteln, die erst den Müttern in China folgen, dann zu den Töchtern in Amerika springen und dann zum Schluss die Lücken im Leben der Mütter zwischen den vorherigen Kapiteln füllen, fand ich eigentlich elegant und vielversprechend, in der Umsetzung aber etwas enttäuschend. Es fiel mir schwer, in den Müttern in Amerika die jungen chinesischen Mädchen vor der Auswanderung wiederzufinden. Das entspricht natürlich einerseits genau der zentralen Aussage des Buches, aber andererseits ist auch eine Schwäche. Ich war nicht sicher, inwiefern die Mütter absichtlich so gestaltet sind und inwiefern sich Amy Tan einfach nur deutlich besser in die Töchter hineindenken kann. Man soll ja Romane nicht zu biographisch lesen, aber Amy Tan sagt selbst, dass die Figur der Suyuan Woo vom Schicksal ihrer eigenen Mutter inspiriert ist. Möglicherweise zeigt sich hier also schlichtweg eine Differenz zwischen dem von Amy Tan selbst Erlebten und dem, was sie selbst nur erzählt bekommen hat.

Unter chinesisch-amerikanischen Lesern ist das Buch übrigens umstritten. Einerseits war „Töchter des Himmels“ 1989 einer von sehr wenigen Romanen, die sich mit der Lebenswelt von Sino-Amerikanerinnen befassten und zu Bestsellern wurden. Die Verfilmung, die Amy Tan selbst mitproduziert hat, war der zweite Hollywoodfilm überhaupt mit ausschließlich asiatischen Hauptfiguren (noch dazu Frauen!), und obwohl er sehr erfolgreich war, dauerte es danach fast dreißig Jahre bis zum nächsten Film mit asiatischen Hauptpersonen. ( „Crazy Rich Asians“ – meine Besprechung des Buches findet ihr hier.) Andererseits wird Amy Tan vorgeworfen, dass ihre Beschreibung der chinesischen Kultur negativ und voller orientalistischer Klischees sei.

Mein Fazit: „Töchter des Himmels“ gibt einen guten Einblick in die Situation der chinesischen Einwandererkinder im Amerika der 1970er bis 1990er. Die Figuren der ersten Einwanderergeneration bleiben eher blass – eine unterhaltsame Urlaubslektüre ist Amy Tans Roman aber allemal.

Soviel erst einmal von mir. Ich bin gespannt auf eure Eindrücke!

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9 Antworten zu Sommerbuchclub 2019: Töchter des Himmels (The Joy Luck Club) von Amy Tan

  1. Matthias schreibt:

    Hallo!

    Joy Luck Club habe ich gerne gelesen. Die Geschichten sind interessant und kurzweilig. Besonders die Geschichte mit den im Krieg verlorenen und Jahrzehnte später wiedergefundenen Zwillingen wird mir in Erinnerung bleiben.

    Für mich hat das Buch allerdings eher als Kurzgeschichtensammlung funktioniert denn als Roman. Ich fand es schwierig, die Verbindungen zwischen den zahllosen Figuren im Blick zu behalten, viele Nebenfiguren (v.a. die Ehemänner der Töchter) sind außerdem schwer auseinanderzuhalten.

    Mein Hauptkritikpunkt ist aber ein anderer. Das Buch suggeriert dem Leser, es gehe im Wesentlichen um China. Tatsächlich war ich nach vielen Jahren der Beschäftigung mit China von dem, was über China vermittelt wird, teils etwas irritiert, manchmal sogar ein bisschen genervt. Um meine Kritikpunkte etwas verständlicher zu machen, will ich mal so tun, als sei das Buch nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell ins Deutsche übersetzt worden, und die Handlung drehe sich um vier in den 1940er Jahren aus Deutschland in die USA ausgewanderte Familien. Auf diese Familien würden dann für das Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „typische“ Ereignisse und Identitäten verteilt: Familienangehörige im Krieg gefallen, Hungerzeit während des ersten Weltkriegs, Verlust des Vermögens in der Inflationszeit, Firmenpleite in der Weltwirtschaftskrise, Verfolgung durch die Nazis; Die Held(inn)en wären Sozialdemokraten, gläubige Katholiken, Kommunisten, Kleinbürger mit Nazi-Sympathien. Die in Deutschland spielenden Episoden wären alle so geschildert, dass relativ offensichtlich ist, dass die Autorin das Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur vom Hörensagen und aus Büchern kennt und ihm mit großem innerem Abstand gegenübersteht. Das führt dann natürlich dazu, dass die Schilderungen teils sehr holzschnittartig sind, oder dazu, dass bei einem grundsätzlich richtigen Sachverhalt dann die Details nicht so recht passen. Nur ein Beispiel: Es ist ja richtig, dass Kochen und Essen in der chinesischen Kultur eine ungeheuer wichtige Rolle spielen – aber, wie das im Patriarchat nun mal üblich ist: Die wirklich wichtigen Dinge machen die Patriarchen selbst. Will heißen, in China kocht traditionell meistens der Mann. Bei allem Verständnis dafür, dass es in dem Buch um Frauenschicksale geht und deswegen von kochenden Frauen erzählt wird: Es wirkt in etwa so, wie wenn in meinen fiktiven deutschen Auswandererfamilien die Frauen ständig am Auto herumschrauben und die Haustechnik reparieren, während man nie mitkriegt, dass die Männer das auch mal machen. Kann schon sein, dass das in ein, zwei Familien mal so ist, aber in allen dargestellten? Das nur als Beispiel.

    Noch irritierender dagegen fand ich folgendes: Wenn chinesische Zitate gebracht werden, merkt man, dass die Autorin zwar mündlich Chinesisch gelernt hat, aber sich offensichtlich nie mit der Schriftform beschäftigt hat. Die Umschrift ist reine Marke Eigenbau. In mein deutsches Beispiel übersetzt: Ven di doichen fammiljen doitch spräkhen, siit das etva soo aus (ich übertreibe nicht!). Von Ying-Ying St. Clair wird berichtet, dass sie aus „Wushi“ kommt, eine Stadt dieses Namens (mit unterschiedlichen Schriftzeichen) gibt es mindestens sechsmal in China. Als es dann hieß, dass „Wushi“ am Tai-See liegt, ist mir erst klar geworden, dass Wuxi gemeint ist. In mein deutsches Beispiel übersetzt, ist das, als würde gesagt, eine Familie komme aus Haidleberg, und dann muss man selber über den Kontext darauf kommen, dass Heidelberg gemeint ist.

    Mein schwerwiegendster Kritikpunkt ist aber, dass diese Holzschnittartigkeit leicht dazu führen kann, dass Leser durch die Lektüre allgemein umlaufende Klischees über China bestätigt sehen könnten. Wenn man das Buch durchgehen würde, während man in der anderen Hand eine Checkliste mit den in den USA verbreiteten Klischees über Chinesen hält, könnte man einen großen Teil der Punkte abhaken. Die „Tiger Mum“, der übergroße Ehrgeiz mit Tendenz zum Strebertum, die gerissenen Trickser, der Aberglaube, die in Pidgin-Englisch vorgetragenen „Perlen orientalischer Weisheit“, der Kinderreichtum, alle sind sie fröhlich versammelt. Mit den Glückskeksen wird immerhin ein Klischee auseinandergenommen, dafür aber im nächsten Atemzug zehn andere – scheinbar – bestätigt (und das auch noch mit der „Autorität“ einer chinesischstämmigen Autorin!). Ich könnte das jetzt damit vergleichen, dass meine fiktiven deutschen Familien alle ständig Bier trinken, Bratwurst essen, jedes Jahr pünktlich und humorlos Oktoberfest feiern, Lederhose und Dirndl tragen und immer ihre Weihnachtsgurke an den Baum hängen, aber das passt hier nicht so recht: In diesem Bereich führt der Vergleich nicht besonders weit. Der Fundus an Vorurteilen gegenüber Chinesen ist in den USA wesentlich reicher bestückt und in der Tendenz sehr viel negativer als der gegenüber Deutschen. Warum, darüber kann jeder spekulieren; wer mehr darüber wissen will, dem empfehle ich (für diejenigen, die das Privileg haben, demnächst New York zu besuchen) einen Besuch im Museum of Chinese in America, alternativ die Lektüre der wunderbaren Graphic Novel „American Born Chinese“ von Gene Luen Yang.

    Nach so viel Kritik will ich jetzt aber sagen, was ich an dem Buch richtig gut finde, und es hat tatsächlich mit meinen vorherigen Kritikpunkten zu tun. Wenn man sich erst mal von der Vorstellung verabschiedet hat, dass es um China geht, kann man feststellen: Als Buch über die Integration, man kann sogar sagen Assimilation, von Einwanderern der zweiten Generation ist es richtig gut. Mein bestes Beispiel dafür ist die Geschichte, in der Waverly Jong die Heimatstadt ihrer Mutter, Taiyuan, mit Taiwan verwechselt. Ich habe lange überlegt, wie ich das in mein deutsches Beispiel übersetze, aber dann ist es mir plötzlich eingefallen: das ist, wie wenn die Tochter meiner fiktiven deutschen Familie, die aus Berlin stammt, plötzlich von Bayern redet. Gleicher Anfangs- und Endbuchstabe, in der Mitte für Laien auch irgendwie ähnlich; Aber ich bezweifle, dass jemand, der sich nur halbwegs mit Deutschland auskennt, so schnell auf die Idee kommt, dass man die Stadt Berlin mit dem Land Bayern einfach mal so verwechselt. Für mich zeigt das wie keine andere Episode im Buch, wie weit sich die Töchter – und aller Wahrscheinlichkeit nach auch ihre Vorbilder in der Realität, die Töchter chinesischer Einwanderer in den USA – vom Herkunftsland ihrer Eltern mental fortbewegt haben. Ich würde das Buch gerne jedem ans Herz legen, der behauptet, dass sich Einwanderer aus „fremden Kulturkreisen“ niemals integrieren werden, und ihre Kinder auch nicht. Das Buch beweist für mich eindrucksvoll das Gegenteil. Die zweite Generation gehört vielleicht zu einer Subkultur (der Chinese Americans oder der türkeistämmigen Deutschen oder oder…), aber es ist eindeutig eine Subkultur des Aufnahmelands und nicht des Herkunftslands.

    Wenn ich zum Abschluss eine Prognose wagen darf (in der Hoffnung, dass es bis dahin alle vergessen haben, wenn ich falsch liege): ich glaube, in den 2040ern oder 2050ern werden wir in Deutschland ein ähnliches Buch von einem/einer deutsch-syrischen Autor(in) haben, das sich in ähnlicher Weise mit der Geschichte von syrischen Einwanderern in Deutschland und ihren Kindern auseinandersetzt. Ich hoffe inständig, dass dann die anti-muslimischen Vorurteile in Deutschland weniger ausgeprägt sein werden als es in den letzten Jahrzehnten die anti-chinesischen in den USA waren.

    Viele Grüße aus Moskau,
    Matthias

    • dieweltinbuechern schreibt:

      Zu deinem Berlin-Bayern -Beispiel: Mir hat in den USA mal eine Studentin, deren verstorbene Oma aus Deutschland war, gesagt, dass sie von einer Deutschlandreise an drei Orte träumt: München wegen des Oktoberfests, Berlin wegen der coolen Clubs, und Brüssel, „weil das für die deutsche Politik so wichtig ist“. Ich hab dann vorsichtig nachgefragt und sie dachte wirklich, dass Brüssel der deutsche Regierungssitz sei, weil sie mehrfach in den Nachrichten Statements von Angela Merkel in Brüssel gesehen hatte…

  2. Julia Kahrl schreibt:

    Hallo aus Berlin,
    vielen Dank für Euren Auftakt, dem ich in weiten Teilen zustimmen kann. „Joy Luck Club“ war ein interessanter Einblick in die Welt der sino-amerikanischen Einwanderung zu Zeiten des kalten Krieges, allerdings habe ich es tatsächlich nicht so gern gelesen. Ich habe mich schwer getan, die Figuren auseinanderzuhalten und die Geschichten aufeinander zu beziehen (in der Tat eher eine Sammlung von Kurzgeschichten, aus denen sich auch kein logisches psychologisches Profil der Figuren entwickelt hat, dafür war es zu episodenhaft) und v.a. die Erlebnisse, die in China spielten, waren einfach oft sehr krass und exotisch-abschreckend (gesellschaftlicher Umgang, Stellung von Frau/Mädchen, Erlebnisse von Krieg etc.). Insgesamt kann ich die Kritik verstehen, die dem Buch vorwirft, Vorurteile gegenüber China, seiner „rückständigen“ Kultur und den sino-amerikanischen Einwanderern und Subkultur eher zu bestätigen, denn sie kritisch zu reflektieren oder zu hinterfragen. Dies liegt sicherlich auch daran, dass weder die Autorin selbst noch die Töchter im Buch wirklich viel Reiseerfahrung in China selbst sammeln konnte (Buch erschien ja 1989). Am meisten schockiert hat mich jedoch die absolute Sprachlosigkeit zwischen den Generationen, die fehlende Kommunikation, die Missverständnisse und das fehlende sich-füreinander-öffnen-Können. Ist dies vielleicht wirklich der Preis für die „geglückte“ Assimilation der Töchter-Generation? Ist diese denn geglückt? Oder färben die Traumata der Mütter nicht doch – und gerade umso mehr, da nicht ausgesprochen und/oder bewältigt sind – auf die Töchter ab – und das trotz ganz anderer Lebenserfahrung und kulturellem (amerikanischem) Hintergrund? Seit ein paar Jahren höre und lese ich immer wieder etwas über die Traumata der (deutschen) Kriegsgeneration, die sich auch in die Leben der nachfolgenden Generationen hineinschleichen: fehlende Wärme, fehlende Kommunikation (über das Erlebte), harte Erziehung, Hunger, Bombennächte, Verluste, Kriegserlebnisse, die nie bewältigt wurden und die nach Jahrzehnten im Leben der Kinder und Enkel angeblich wieder auftauchen (u.a. Beziehungsprobleme, Depressionen, Ängste – z.B. in Ursula Ott „Das Haus meiner Eltern hat viele Räume“). Mir scheinen die meisten Protagonistinnen jedenfalls alle sehr zerrissen und hadernd – und oft gar nicht wirklich wissend, warum.
    Mir gefällt Matthias Gedanke aber, dass das Buch jedenfalls durch die Hintertür zeigt, dass immer eine Art von Integration und Annäherung passiert, wenn Menschen auf Dauer in ein neues Land ziehen. Beide Generationen – Mütter und Töchter – sind angekommen in Amerika, jede auf ihre Weise.
    Viele Grüße,
    Julia

    • dieweltinbuechern schreibt:

      Interessanter Hinweis mit den vererbten Traumata. In Bezug auf die Familie St.Clair wird das ja angesprochen: Die Mutter fragt sich, ob ihre Tochter von ihr ihre anerzogene Passivität übernommen hat.

  3. Gisela Riemer schreibt:

    Hallo aus Korntal,
    ich hatte das Buch tatsächlich Anfang der 90er Jahre schon mal gelesen und konnte mich aber überhaupt nicht mehr an den Inhalt erinnern. Beim erneuten Lesen kam mir vieles bekannt vor, trotzdem ging es mir wie euch, ich fand es sehr schwer, die Töchter den Müttern zu zuordnen, ohne ständig in die ersten Kapitel zurück zu blättern. Insofern fiel es mir auch schwer „dran zu bleiben“.
    Ich kann mich auch immer noch nicht erinnern, wie ich das Buch damals gesehen habe, immerhin habe ich noch ein weiteres Buch von Amy Tan, also kann ich es nicht negativ beurteilt haben. Ich vermute, dass ich mich damals eher auf der Ebene der Töchter wiedergefunden habe. Dass die Eltern nicht wirklich mit einem reden oder auch Gefühle gar nicht zeigen, das kenne ich von meinen Eltern, meiner Mutter bis heute.
    Heute fühle ich mich als Mutter mit erwachsenen Töchtern angesprochen und wie Julia bin ich schockiert über diese Sprachlosigkeit und das Unverständnis zwischen den Generationen. Eigentlich wollte ich den Akteurinnen ständig sagen, redet doch miteinander, erklärt doch, warum ihr so reagiert, das ist doch völlig unnötig, so viele Geheimnisse zu haben. Ich kann mir schwer vorstellen, so mit meinen Töchtern umzugehen (ich hoffe, dass du mir nicht widersprichst Sonja :-)), aber ich denke, das war vor 30 Jahren ziemlich normal. Im Buch sicher auch noch verschärft vor dem Hintergrund der Migration und den Schwierigkeiten in einer fremden Kultur zu leben.

    Ich hätte gerne mehr über die Mütter erfahren, wie sie es überhaupt geschafft haben, nach Amerika auszuwandern. Das war ja sicherlich nicht einfach. So stehen die beiden Welten China und Amerika eigentlich unvereinbar nebeneinander.
    Fazit: es ist eindeutig nicht mein Lieblingsbuch, aber es war gut, das Buch aus dem Bücherregal zu ziehen und ich lese sicher bald das andere von ihr (Die Frau des Feuergottes), schon um zu sehen, ob ich mich an das beser erinnern kann.
    Viele Grüße an euch alle.
    Gisela

  4. Claudia Schmidt schreibt:

    Hallo liebe Bücherfreunde,
    nun habe ich das Buch auch fertig gelesen, ich fand es trotz der vielen verschiedenen Charaktere, die ich auch nicht auseinanderhalten konnte, recht kurzweilig.
    Mich haben die Geschichten der Mütter ziemlich befremdet bzw. schockiert, da mir auch die chinesische Lebenswelt sehr fremd ist. Ich fand es zwar sehr interessant, in diese Welt einzutauchen, allerdings war es recht kurz gehalten und es fiel mir schwer, mich mit den Figuren zu identifizieren. Vielleicht ist das aber auch Absicht der Autorin, denn es geht ja in dieser Kultur sehr darum, sein Gesicht nicht zu verlieren und somit auch die anderen gar nicht so sehr am eigenen Innenleben teilhaben zu lassen (vielleicht sogar nicht mal im Monolog sich selbst gegenüber).

    Die Nicht- oder Fehlkommunikation zwischen Müttern und Töchtern fand ich ebenfalls schwer auszuhalten. Natürlich liegt das sicher an den zwei Welten, die die Charaktere geprägt haben, aber es ist sicherlich auch ein großer Teil den verschiedenen Generationen zuzuschreiben.
    Wir dürfen ja nicht vergessen, dass das Buch nicht in der Jetzt-Zeit spielt, die Mütter sind hier quasi (zumindest meine) Großmütter-Generation (ich bin Jahrgang 84). Selbst in Deutschland war diese Lebenswelt glaube ich extrem unterschiedlich zur nachfolgenden Generation, die nach dem 2.Weltkrieg geboren wurde (so wie die Töchter hier im Buch). Viele Dinge, die mich im Buch befremdet haben, waren auch zu dieser Zeit hier noch sehr üblich, wie z.B. Aberglaube, schwarze Pädagogik, Frauenbenachteiligung etc.

    Den Aspekt von Julia mit den vererbten Traumata finde ich auch sehr interessant. Es ist ja inzwischen nachgewiesen, dass Traumata selbst der Großelterngeneration sich im Genom wiederfinden lassen. Da ist es natürlich besonders schwierig, damit umzugehen und könnte schon manche Verhaltensmuster der Töchter erklären.

    Was irgendwie schon absurd ist, dass Amy Tan in diesem Buch ja auch beschreibt, wie die hier in USA geborenen Personen gar nicht chinesisch sind und sich auch nicht in diese Welt einfühlen können. Trotzdem schreibt die Autorin über die chinesische Welt (und trifft vielleicht nicht alle Aspekte, siehe Matthias‘ Beitrag). Es gab dazu auch in der deutschen Presse mal eine Diskussion, weil ja viele Migrantenkinder über die Heimatländer ihrer Eltern schreiben und auch immer den Vorwurf ernten, dass sie das ja gar nicht wissen können (ich weiß leider nicht mehr, um welchen Autor es da ging, vielleicht erinnert sich jemand).
    Schließlich finde ich allerdings, es ist ja ein Roman, dort sollte alles erlaubt sein, was dem Künstler einfällt, es gibt auch hier kein falsch oder richtig.
    Ich fand die Lektüre insgesamt sehr bereichernd.

    Viele Grüße aus Stuttgart,
    Claudi

    • dieweltinbuechern schreibt:

      Zu dem Vorwurf an Migrantenkinder, nicht authentisch genug zu berichten, kommt dann noch das Problem, dass die Figuren als typisch für die jeweilige Kultur wahrgenommen werden – z.B. „alle chinesisch-stämmigen Migrantinnen kommunizieren nicht mit ihren Kindern.“, wohingegen bei einem Autor und Figuren aus der Mehrheitsgesellschaft eher davon ausgegangen wird, dass eine um eine Geschichte einer einzelnen Familie oder Freundesgruppe handelt.

      Und manchmal wird Exotik vermutet, wo gar keine ist: Kazuo Ishiguro, der als Fünfjähriger aus Japan nach Großbritannien kam, hat in einer Preisrede mal berichtet, dass sein großes stilistisches Vorbild für seinen ersten Roman die Sherlock Holmes-Krimis waren, er also im typisch britischen ausufernden Stil des 19. Jahrhunderts schreiben wollte. Er sei aus allen Wolken gefallen, als fast alle britischen Rezensionen den „typisch japanisch blumigen Stil“ seines literarischen Krimis lobten und niemandem die vielen Holmes-Referenzen auffielen.

  5. Milena schreibt:

    Hallo aus der mecklenburgischen Seenplatte, zwei Monate später…
    Was zum einen (ohne mich dafür rechtfertigen zu wollen) daran liegt, dass ich im Sommerurlaub nicht an das Buch gekommen bin, weil es vergriffen ist und es keinen Weg gab, es nach Frankreich liefern zu lassen. Und zum anderen liegt das auch daran, dass ich, wie einige hier auch schreiben, Schwierigkeiten hatte, richtig in das Buch einzutauchen.
    Ich teile auch den Eindruck, dass es eher den Charakter von aneinander gereihten Kurzgeschichten hatte und wenig den eines Romans. Das macht die Lektüre nicht so packend, weil ein Spannungsbogen fehlt. Lediglich die Idee, nach dem Tod der Mutter die Zwillingstöchter in China zu finden, rahmt die Handlung zum Beginn und zum Ende. Auch wenn es vielleicht “realistischer” ist, nicht so viele romanesque Überschneidungen zwischen den Handlungssträngen und Charakteren zu haben, wäre es doch vielleicht dadurch spannender gewesen. Es fehlte mir also etwas an Dramaturgie in diesem Buch.
    Was den Inhalt angeht: auch hier schwierig, euren vielen Eindrücken, die ich weiten Teilen teile, etwas neues hinzuzufügen. Natürlich ist die Darstellung “des chinesischen” etwas holzschnittartig und stereotypisch, wobei das sicherlich Sino-Amerikannerinnen am besten beurteilen können. Dennoch fand ich die Darstellung der (vermeintlich) chinesischen Traditionen, des Aberglaubens, der Sprichwörter sehr interessant und konnte aus meiner kurzen China-Erfahrung auch ein bisschen damit anknüpfen. (Ich stimme dir Matthias zu dem komischen Pinyin zu, das ich sehr verwirrend fand; hatte aber spekuliert, dass es eine andere phonetische Umschrift der chinesischen Schriftzeichen ist, die halbwegs Sinn ergibt, wenn man die Wörter mit amerikanischen Akzent liest…). Aus der Perspektive mit einer französischen Mutter (größtenteils) in Deutschland aufgewachsen zu sein, immer zwischen zwei Kulturkreisen balancierend, kann ich sagen, dass es oft ein Bedürfnis gibt, etwas als “typisch” französisches/hier chinesisches etc. zu beurteilen. Dieses Bedürfnis gibt es für einen selber, in dem Versuch, beide Kreise in denen man sich bewegt, manchmal abgrenzen zu wollen. Aber das gibt es auch von außen, um die Andersartigkeit hervorzuheben. In beiden Fällen nimmt es unweigerlich stereotypische Züge an. Ich glaube, in solchen Büchern ist dieser Vorwurf immer garantiert. Deshalb habe ich diese Darstellungen der chinesischen Traditionen einfach als solche angenommen, ohne sie auf ihre Allgemeingültigkeit zu hinterfragen.
    Die Gegenüberstellung von zwei Lebenswelten, die zeitlich, kulturell, geografisch und von den Lebensumständen nicht weiter auseinander liegen könnten, hatte für mich sowohl interessante als auch befremdliche Seiten. Interessant in der Darstellung der Undankbarkeit, des “Konsumerisumus”, der Amerikanisierung der Töchter. Befremdlich natürlich in der unsichtbaren Mauer, die zwischen den zwei Generationen dadurch aufgebaut wird. Insgesamt hätte ich mir mehr von den Müttern gewünscht, denn man versteht nicht, warum diese nicht mehr kommunizieren und versuchen, das Verständnis und die Kenntnis ihrer eigenen Kultur den Töchtern beizubringen. Hier gibt es im Buch ein großes Vakuum zum Prozess ihrer eigenen Assimilation, das die Distanz zu ihren Töchtern erklären könnte. Andererseits ist dieses Buch wahrscheinlich der Versuch von Amy Tan, in dieses Vakuum einzudringen und dieses zu erforschen und zu füllen. Aber es bleiben für mich große blinde Flecken zurück. Die Mütter sind auch sehr widersprüchlich. Sie sagen sie ihren Töchtern “du bist Chinesin und wirst es immer sein, ob du es willst oder nicht” und andererseits sagen sie ihnen “du bist so amerikanisch und überhaupt nicht chinesisch”. Auch wenn es in den einzelnen Geschichten auf eine (versuchte oder auch posthume) Annäherung dieser beiden Lebenswelten hinausläuft…

    Ich war ehrlich gesagt noch nicht einmal auf den Gedanken gekommen, Parallelen zu deutschen Familiengeschichten zu ziehen und finde diese Diskussion und die aufgeworfenen Begriffe wie vererbte Traumata etc. sehr spannend. Vielen Dank für die spannende Diskussion, die die Lektüre im Nachhinein noch einmal bereichert!

    • dieweltinbuechern schreibt:

      Ich finde es sehr spannend, was du über das Balancieren zwischen zwei Kulturkreisen und die Stereotype, die dadurch entstehen, schreibst. Eigentlich logisch, das auch jemand, der selbst zu zwei Kulturen gehört, Klischees (ge-)braucht, um die komplexe Wirklichkeit zu ordnen. Ich glaube, du bist dieses Jahr die einzige Buchclub-Teilnehmerin aus einer binationalen Familie – insofern doppelt Danke, dass du trotz aller Schwierigkeiten noch mitgelesen und -diskutiert hast!

      Anscheinend hätten wir alle gerne mehr aus der Mütterperspektive erfahren. Falls also jemand auf ein Buch stößt, das diesen Blickwinkel einnimmt, bitte weitersagen.

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